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Weine richtig dekantieren

Mythen, Missverständnisse, Irrtümer.


„Der Wein muss erst einmal atmen!“ Aber wie lange dauert das? Und warum soll ein Wein vor dem Genuss atmen bzw. muss er das überhaupt? Ist es ein wichtiger Akt oder bloß eine sinnleere Inszenierung?

Weine richtig dekantieren, Rotwein belüften

© luckyraccoon/Shutterstock.com

Die Dos & Donts des Dekantierens.

Freitagabend in einem Restaurant irgendwo in Deutschland. Im tollen Ambiente eines erstklassigen Genusstempels warte ich auf mein Essen und freue mich besonders auf den fantastischen Wein. Zwei Kellner kommen zielstrebig und mit graziler Anmut an meinen Tisch marschiert. Der Oberkellner trägt den edlen Tropfen vorsichtig wie ein Baby und mit der nötigen Würde vorneweg. Der zweite Kellner führt auf einem Wagen allerlei Gerätschaften mit sich. Die Vorstellung beginnt mit einer Präsentation, bei der nicht immer klar ist, ob gerade der Wein oder ein gefeierter Weltstar vorgestellt wird und gar Beifall geklatscht werden muss.

Das große Spektakel erreicht schließlich seinen Höhepunkt und ich darf die mystisch anmutende Zeremonie des sogenannten Dekantierens leibhaftig erleben. Theatralisch wird auf dem mitgeführten Wagen eine Kerze entflammt, die Flasche in ein archaisch anmutendes metallenes Gerät gelegt und vor dem Schein des Kerzenlichts drapiert. Andächtig und mit weihevoller Mine gießt der Kellner schließlich den guten Rebensaft mithilfe des Gerätes und unter ständigem Drehen der Karaffe langsam auf der Innenseite entlang in das Gefäß.

Die großartige Inszenierung und der Anblick des edlen Tropfens verstärkt die Vorfreude, doch der Hoffnung auf baldigen Genuss setzt der Oberkellner mit nur einem einzigen Satz ein jähes Ende: „Der Wein muss erst einmal atmen!“ Nach einem spektakulären Vorspiel heißt es also Ruhe bewahren und warten bis der Wein sein Aroma entwickelt hat.

Aber wie lange dauert das? Und warum soll ein Wein vor dem Genuss atmen bzw. muss er das überhaupt? Ist es ein wichtiger Akt oder bloß eine sinnleere Inszenierung?

Was bedeutet „Dekantieren“?

Mit dem Begriff „Dekantieren (franz. décanter = umfüllen, klären, absetzen)“ werden in der physikalischen Chemie Prozesse bezeichnet, bei denen eine oder mehrere Phasen durch Abgießen oder Entnahme getrennt werden. Die abgezogene Phase wird als Dekantat bezeichnet und das Abfüllgerät als Dekanter.

Auf die Frage warum ein Wein dekantiert werden sollte, lautet die häufigste Antwort: weil er atmen muss!

Da wären wir auch schon beim ersten Missverständnis. Der offensichtliche Irrtum liegt hierbei aber nicht in der vermeintlich notwendigen Belüftung des Weines, auf die an späterer Stelle noch eingegangen wird, sondern einzig und allein in der Auffassung des Begriffs „Dekantieren“. Gemäß obiger Definition geht es auch beim Dekantieren des Weines um das Trennen einer Flüssigkeit von einem unlöslichen Feststoff, in diesem Fall vom Bodensatz (Depot), der vornehmlich bei lang gelagerten Weinen auftritt.

Ist dagegen die Belüftung des Weines gemeint, spricht der Fachmann vielmehr vom „Karaffieren“. Bei dieser Methode soll das Aroma und damit auch der Geschmack des Weines durch Sauerstoffzufuhr verbessert werden. Sowohl fürs Dekantieren als auch fürs Karaffieren werden Kristall- oder Glasgefäße verwendet.

Nachdem der Unterschied zwischen „Dekantieren“ und „Karaffieren“ aufgezeigt wurde, stellt sich nun die Frage, welche Methode bei welchen Weinen zwingend notwendig ist bzw. welchen Schaden sie möglicherweise anrichten kann?

Welcher Wein muss dekantiert, welcher karaffiert werden?

Da vornehmlich ältere, gehaltvolle Weine den bitter schmeckenden Bodensatz aufweisen, empfiehlt sich hier das Dekantieren. Zu diesen Rebensäften zählen neben alten Rotweinen auch Portweine, bestimmte Weißweine, schweren Dessertweine und einige Champagnersorten. Im Zweifel sollte der Rat des Weinhändlers oder eines Sommelières eingeholt werden.

Auch wenn ein guter alter Tropfen dekantiert werden muss, kann er durch zu viel Luftkontakt „umkippen“. D.h. karaffiert man ihn, beginnt er innerhalb einer Stunde zu verfallen, oxidiert sehr stark und verliert sein ursprüngliches Aroma.

Der Weintrinker steht nun vor einem Dilemma: wie kann er Dekantieren ohne dabei zu Karaffieren?

Die Lösung ist eine Dekantierkaraffe mit einem schmalen Boden, wodurch der Luftkontakt mit der Weinoberfläche verringert wird. Alternativ bietet sich die Dekantiermaschine an, die insbesondere bei sehr alten Portweinen mit feinem Depot zum Einsatz kommt und ein gleichmäßiges Eingießen gewährleistet. Ebenso gut lässt sich der Bodensatz aber auch durch einen im Glas eingesetzten neutralen Filter zurückhalten. Im Gegensatz zu den alten haben die jungen Weine in der Regel kein Depot und müssen somit auch nicht dekantiert werden. Ob sie karaffiert werden müssen, hängt von ihrem Reifegrad ab. Da sowohl einige mittelschwere Rotweine als auch kräftige Weißweine meist viel zu früh getrunken werden, empfiehlt sich das Karaffieren.

Eine stark bauchige und sich nach oben hin verjüngende Karaffe sollte dabei verwendet werden, da sie größtmöglichen Luftkontakt bietet und der Sauerstoff die gewünschte beschleunigte Reifung herbeiführen kann. Noch nicht trinkreife Weine können ihren Geschmack durch diese Methode verbessern, doch ist dem Karaffieren das Ausreifen solcher Weine eindeutig vorzuziehen.

Wie wird richtig dekantiert bzw. karaffiert?

Vor dem Dekantieren sollte der Wein ein bis zwei Tage schräg bzw. stehend gelagert werden, damit sich das Depot am Boden absetzen kann. Nachdem der Wein geöffnet, der Flaschenhals gereinigt und der Tropfen in einem Probierglas auf optische und geschmackliche Fehler überprüft wurde, kann mit dem Dekantieren begonnen werden. Zu allererst wird der Wein aus dem Probierglas in den Dekanter gegossen, um die Karaffe von fremden Gerüchen und Staubteilchen zu reinigen. Anschließend wird er wieder ausgegossen und der Dekanter ist bereit.

Die Flasche wird mit einem Dekantiergerät oder einer ruhigen Hand so vor eine Lichtquelle positioniert, dass der Bodensatz zu erkennen ist. Vorsichtig wird der Wein in den schräg gehaltenen Dekanter gegossen. Das Dekantieren ist beendet, wenn das Depot den Flaschenhals erreicht. Die hartnäckigen Ablagerungen in der Dekantierkaraffe können später mit Backpulver, Gebissreiniger-Tabs oder einem Gemisch aus Meersalz und Weißweinessig entfernt werden. Beim Karaffieren ist dagegen keine große Vorsicht geboten und der Rebensaft kann ruhig blubbernd in die bauchige Karaffe gegossen werden, da er so noch mehr von dem benötigten Sauerstoff erhält. Das Karaffieren sollte jedoch einige Zeit vor dem Genuss erfolgen.

Dabei gilt die Faustregel: je jünger der Wein, desto länger belüften. Bei einigen Weinen kann dieser Prozess bis zu 24 Stunden in Anspruch nehmen.

Fazit

Dieser kurze Ausflug in die Welt des Dekantierens und Karaffierens hat in erster Linie gezeigt, dass ein wirklich GUTER Wein NICHT atmen muss! Nur unausgereifte Weine erfordern das Karaffieren. Das aufwendige Dekantieren alter Weine lässt sich ebenfalls durch einen einfachen Filter vermeiden. Somit ist die weit verbreitete Zeremonie des Dekantierens mit allen dazugehörigen Gerätschaften in den meisten Fällen nicht nur eine sinnleere Show, sondern kann im schlimmsten Fall den guten Geschmack eines edlen Tropfens durch unnötige Luftzufuhr vernichten.